Die Frage kam auf, warum ein Autist freiwillig lieber alleine wohnen möchte, obwohl er in einer harmonischen Beziehung ist.
Ich kann das mittlerweile gut nachfühlen. Ganz früher, als Kind, und als Alleinstehende, war da nie ein Problem. Meine Eltern waren irgendwo, ich lebte einfach mein eigenes Ding. Und früher, vor meiner Autismusdiagnose, war da immer nur ein konstantes, ungutes Gefühl, das sich schon bei der Aussicht, längere nicht vorgeplante, also mit spontanen Inhalten zu füllende, Zeit mit jemandem verbringen zu müssen, in Panik verwandelte. Anlass, zu grübeln und fieberhaft zu sammeln, wie das gehen könnte, was man alles reden kann etc etc.. Panik, in einem ungünstigen Moment (heute weiss ich, in einem „unmaskierten“ Moment) blöd rüberzukommen, einen schlechten Eindruck zu machen und wieder mal jemanden zu enttäuschen.
In diesem früheren Beitrag hab ich versucht, mit Humor die Tücken zwischen NT und ND zu skizzieren. In einem späteren Beitrag hab ich dann nochmal ausgeführt, wie beengt ich meine momentane Lage empfinde. Autistisches Rückzugsbedürfnis, Mütterfalle und Berufstätigkeit koalieren miteinander und gegen mich. Sicher könnte man da noch ganz viele bunte Beispiele anführen, um diese Probleme plastisch zu machen.
Aber je älter ich werde, desto mehr habe ich das Bedürfnis, einfache Lösungen zu finden, statt komplizierte psychologische Theorien zu wälzen. Ich habe ein, zwei Tage beobachtet. Zur Zeit bin ich im Urlaub, es ist viel zu tun, viel zu erledigen, jeder Tag neu zu planen, und ich bin gestresster als in der Arbeit. Nichts Neues für Autisten. Ich bin aber auch viel dünnhäutiger als sonst, so daß mein (NT-)Mann schon irritiert ist. Ich fühle mich kritisiert, er möchte das gar nicht. Deswegen, und weil meine Kinder ähnlich empfindlich reagieren, denke ich mir folgende Gründe:
- der Tagesablauf spielt für uns beide eine völlig andere Rolle. Ich folge fixen Plänen, weil es mir so leichter und sicherer fällt. (Ich bin nicht zwanghaft!). Mein Mann handelt nach Stimmung. Ich muss mir klarmachen, daß er seine Wahlfreiheit genießt, er muss sich klarmachen, dass ich spontane Angebote meide, weil mich die Umstellung Kraft kostet und nicht, weil ich die Angebote an sich doof finde.
- manche Probleme löse ich unkonventionell, weil ich nach logischen Lösungen suche, und nicht danach, was man so macht. Und wenn diese Lösungen funktionieren, mag ich sie mir auch nicht ausreden lassen.
- viel, das Meiste eigentlich läuft schief einfach aufgrund der unterschiedlichen Funktion, die Sprache für uns hat. Ich brauche Sprache kaum, um Kontakt aufrechtzuerhalten. Gesagt ist gesagt, reicht, basta. Mein Mann fragt oft nach, wiederholt, übertreibt oft, ohne das wirklich so krass zu meinen. Ich (und die Kinder) bin von seiner Sprache irritiert, fühle mich unterbrochen, gegängelt, kritisiert, statt das Interesse zu registrieren. Er fühlt sich von mir (uns) abgelehnt oder ignoriert, weil er nicht weiß, daß wir uns gegenseitig spüren und schätzen, auch ohne ein Wort zu wechseln.
Ich glaube, damit ist das meiste schon gesagt. Ich bin aufgrund meiner sehr späten Diagnose in mein jetziges Leben reingewachsen. Wären mir diese Dinge früher so bewußt gewesen, ich weiß nicht, ob es genauso gekommen wäre, oder ob ich jetzt allein wäre. Ich denke nicht, aber die Entscheidung wäre eine ganz andere gewesen, definitiv.